Waren diese Ergebnisse erwartbar? Konnte man mit dem Ausgang dieser Wahlen rechnen? Beide Fragen sind im eigentlichen Sinne problematisch: Wenn diese Ergebnisse zu erwarten gewesen sind, dann war die gesellschaftspolitische demokratische Warteposition in diesem Kontext eine viel zurückhaltende und passive Reaktion. Und auszurechnen waren diese Ergebnisse leider längst. Offensichtlich scheinen auch die Wählerinnen und Wähler in dieser Stelle und zu diesem Thema längst berechenbar geworden zu sein.

Der Berufs- und Fachverband Heilpädagogik setzt sich für eine professionelle, inklusionsbezogene Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen im Hinblick auf ihre Teilhabe in der Gesellschaft ein. Die AfD, welche in Sachsen und Thüringen in den Landtagswahlen vom gestrigen Sonntag mehr als 30 Prozent der Wähler:innenstimmen bekommen hat, verneint die gesellschaftlichen Prozesse und Forderungen nach Inklusion. Mehr noch: sie lehnt die Inklusion als „Ideologieprojekt“ ab und möchte das Bildungssystem hiervon „befreien“. Sie exkludiert hierdurch Menschen mit Beeinträchtigung aus der deutschen Gesellschaft und stigmatisiert diese. – Ein Vorgang, der vor knapp einhundert Jahren, schon einmal in exakt der gleichen Art und Weise dafür gesorgt hat, behinderte Menschen radikal aus der Gesellschaft auszuschließen. Ein Prozess, der zu den nationalsozialistischen T4-Vernichtungsaktionen geführt hat.

Die Politik der AfD ist somit – und das nicht nur im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen – diskriminierend, nationalsozialistisch und (das gilt auf jeden Fall für den Landesverband in Thüringen) als gesichert rechtsextrem einzustufen. Eine solche politische Ausrichtung darf in einem demokratischen Staat, wie dem deutschen, keine staatstragenden Ämter übernehmen. Das gilt erst recht für die Leitung eines Landesparlaments. Wir hoffen darauf, dass die demokratischen Parteien in Sachsen und Thüringen in den nächsten Wochen Koalitionen eingehen werden, an denen die AfD nicht beteiligt wird. Um es noch einmal ganz nachdrücklich zu sagen: eine eindeutig verfassungsfeindliche Partei, welche einem Menschenbild folgt, das bestimmte Personengruppen ausschließt (und sich daher nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes befindet, wie dieses im Artikel 3, Absatz 3, deutlich geregelt ist) und im letzten die Gleichheit von Menschen negiert, darf in keinem Fall, in keinem Bundesland und erst recht nicht in der Bundesrepublik Deutschland Regierungsverantwortung übernehmen. Es ist zu hoffen, dass die hierzu, in der Vergangenheit häufig thematisierten, Brandmauern von den demokratischen Parteien in Sachsen und Thüringen weiterhin hochgezogen bleiben. Das in diesem Kontext mehr als 30 Prozent der Wähler:innen ebenfalls in den Ruch von Stigmatisierungsprozessen geraten sind, beziehungsweise über die Wahl der AfD zu diesen beitragen, ist der eigentliche sozialpolitische und demokratietheoretische Skandal dieser Landtagswahlen. Zumal der tatsächliche rechtsradikale Bodensatz der Gesellschaft gerade einmal nur halb so groß ist. Dennoch: Was führt diese gut 30 Prozent der Wählenden dazu, die AfD zu wählen? Warum scheint der Glaube an die demokratischen Parteien in diesem Maße nachzulassen?

Auch an dieser Stelle muss und wird der Berufs- und Fachverband Heilpädagogik tätig werden, damit weiterhin eine demokratische und inklusionsbegründete, eine humanistische und teilhabeorientierte Politik für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland realisiert wird. Dieses wird auch im Rahmen der nächsten Bundesfachtagung, welche im November dieses Jahrs in Erfurt stattfinden wird, eine Aufgabe sein, welche wir professionell und konsequent verwirklichen werden.

Prof. Dr. Heinrich Greving
Vorstandsvorsitzender des Berufs- und Fachverbandes Heilpädagogik (BHP) e.V.

Zu den Ergenissen der Landtagswahlen: www.ndr.de/wahlen