„Menschliche Natur ist immer soziale Natur“ (Jantzen 2002: 1)

Dass das, was wir sind und wie wir sind, immer als Ergebnis des Sozialen gelesen werden muss, war eine unverrückbare Erkenntnis im Jantzen’schen Werk, begonnen mit frühen Schriften wie seiner Dissertation „Sozialisation und Behinderung“ aus dem Jahr 1974, grundgelegt in den beiden immer noch viel zu wenig beachteten Bänden „Allgemeine Behindertenpädagogik“ (1987 und 1990) und in den letzten Jahren ausgeweitet auf de-koloniale und anti-rassistische Diskurse.

Nun ist Wolfgang Jantzen im Alter von 79 Jahren verstorben. Er hatte noch so viel vor: Aus persönlichem Gespräch und einer Notiz seiner (inzwischen einer Enzyklopädie gleichenden) Homepage ist zu entnehmen: „Ziel ist es, eine allgemeine Theorie sozialer, intersubjektiver Räume zu entwickeln, von denen Vygotskijs Zone der nächsten Entwicklung ein fundamentaler Spezialfall ist, dessen Aufhellung die elementare Einheit pädagogischer Prozesse zu liefern verspricht“ (vgl. URL: http://www.basaglia.de/Vita/vita.html – abgerufen am 24.11.2020). Dazu scheint Wolfgang Jantzen nicht mehr gekommen zu sein.

Wolfgang Jantzen hat nicht nur den Diskurs um die „Einheit pädagogischer Prozesse“ im Sinne der Schaffung einer Allgemeinen Pädagogik, die wirklich alle Individuen umfasst, geprägt, er hat auch maßgeblich den Diskurs um das De-Institutionalisieren und um das Re-Konstruieren von Lebensgeschichten schwerst beeinträchtigter Menschen im Sinne der Rehistorisierung ihrer oftmals von Isolation und Gewalt geprägten Lebensgeschichten gestaltet.

Erfreulich bleibt, dass wir noch so viele unentdeckte, weiter zu fassende und vor allem in praxisverändernde Prozesse zu überführende, Impulse und Erkenntnisse von ihm erhalten haben. Schmerzlich bleibt seine zuweilen gezielte Unterrepräsentanz im aktuellen Diskurs um Teilhabe und Inklusion.

Sein Werk bleibt Herausforderung und Auftrag zugleich, es sucht nach Personen, die es verstehen, bewahren und weiterführen.
Wer Wolfgang gekannt hat, weiß, dass er hart in der Sache und auch gegenüber anderen sein konnte. Er war aber seinen Dialogpartner*innen dennoch zugewandt und im Grunde genommen mit einem sehr weichen Kern ausgestattet – so möchten wir ihn in respektvoller Erinnerung behalten.

Prof. Dr. Erik Weber

Jantzen, Wolfgang (2002). Gewalt ist der verborgene Kern von geistiger Behinderung. Vortrag auf der Tagung „Institution = Struktur = Gewalt“ des Fachverbandes Erwachsene Behinderte und des Heimverbandes Schweiz am 18.11.2002 in Olten (Schweiz). URL: http://www.basaglia.de/Artikel/Olten%202002.htm#_ftn1 (Abruf am 24.11.2020)