Jedes Jahr am 13. April wird der Internationale Tag der Heilpädagogik begangen. Ziel des Aktionstages ist es, die Profession zu stärken und die Heilpädagogik in der breiten Öffentlichkeit darzustellen. Zu diesem Anlass sprachen wir mit Rainer Schmidt. Der Kabarettist, Vorstand und Pfarrer begegnet den Merkwürdigkeiten seines Lebens mit Humor und lässt andere bei seinen Auftritten daran teilhaben.
Sechs Fragen an Rainer Schmidt, Kabarettist, Pfarrer und Theologischer Vorstand eines diakonischen Sozialunternehmens.
Lieber Herr Schmidt, Ihr Kabarett-Programm „Däumchen drehen“, mit dem Sie schon seit 2014 auftreten, ist stark autobiografisch. Sie beschreiben das Programm als „eine Reise durch die Höhen und Tiefen eines Lebens mit Hindernissen.“ Haben Sie schon immer humorvoll auf Ihre Grenzen geblickt?
Ich hatte tatsächlich das Glück, in einer mit Humor gesegneten Familie aufzuwachsen. Aber selbstverständlich gibt es Phasen im Leben eines heranwachsenden jungen Mannes, während der er seine Hände schmerzlich vermisst. Ich hatte da aber immer Menschen um mich herum, die mich so gemocht haben, wie ich bin. Meine Behinderung wurde also nie dramatisiert und hat auch nicht zum Abbruch von Freundschaften geführt. Das befreit ungemein.
Die Heilpädagogik ist überall dort gefragt, wo Menschen jedes Alters aufgrund von sozialem Ausschluss, Beeinträchtigung oder (drohender) Behinderung vor Entwicklungs- und Teilhabebarrieren stehen. Wie kann der Humor helfen, diese Barrieren abzubauen? Und hilft das auch bei Menschen, bei denen Humor nicht zur Kernkompetenz gehört?
Ich erinnere mich an einen Auftritt in Stuttgart. In der ersten Reihe saß eine Dame, erkennbar blind. Sie hat bei meinem Auftritt schallend gelacht und bitterlich geweint. Nachher kam sie zu mir und sagte: „Es hat mir sehr gutgetan, zu hören, dass ich nicht allein mit meinen Erfahrungen bin.“ Einen humorvollen Umgang mit Behinderung kann man nicht verordnen, aber lachen hilft, nicht Opfer einer Situation zu werden.
Sie waren im vergangenen Jahr auf der BHP-Bundesfachtagung und haben dort viele Heilpädagog:innen kennengelernt. Waren Sie zuvor bereits mit dem Beruf in Berührung gekommen? Und haben Sie seitdem vielleicht sogar einen „heilpädagogischen“ Witz im Programm?
Immer wieder bin ich Heilpädagog:innen begegnet. Ist ja auch ein sehr interessanter Zwitterberuf. Als Pädagog:innen „heilen“ zu können, Respekt. Das wünsche ich mir ja auch als Pfarrer. Einmal einen Gelähmten heilen können und das natürlich öffentlich während eines Gottesdienstes – und nächste Woche wär die Hütte rappelvoll!
Man liest immer öfter, Inklusion sei inzwischen nichts weiter als ein Modewort. Was bedeutet Inklusion für Sie?
Inklusion ist ganz banal die Kunst des gleichberechtigten Zusammenlebens von sehr verschiedenen Menschen. Es passiert immer wieder und sehr oft in unserer Gesellschaft. Aber leider gibt es hartnäckige Strukturen, die Menschen unnötigerweise voneinander trennen. Es gibt zum Beispiel wunderbare Schulen, wo Hoch- und Tiefbegabte, Jungen und Mädchen, einsprachig und mehrsprachig aufwachsende Kinder wie selbstverständlich zusammen lernen. Dummerweise sind wenige davon in Deutschland. Selbstverständlich gibt es berechtigte Ausschlüsse. Ein Spastiker als Herzchirurg, da würde ich ungerne auf dem OP-Tisch liegen.
Was denken Sie, muss sich in unserer Gesellschaft verändern, um die Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen zu verbessern?
Zentral wichtig sind die Strukturen wie mein Schulbeispiel zeigt. Ein Zweites will ich benennen, worüber kaum jemand spricht und was ich durchaus selbstkritisch meine. Wir müssen aufhören, moralisch zu argumentieren und stattdessen ehrlich sein. Ich kenne viele hauptamtliche Menschen, die für und mit behinderten Menschen arbeiten. Bei einer Veranstaltung habe ich mal gefragt, wer denn privat mit einem geistig behinderten Menschen befreundet sei? Und da sah ich in betrübte Gesichter. Wir haben uns längst
noch nicht daran gewöhnt, dass überall sehr unterschiedliche Menschen auftauchen. Im öffentlichen Raum nicht und im privaten auch nicht. Bei Familienfesten sind die Menschen mit Behinderungen dabei, weil sie schlicht zur Familie gehören. Bei anderen privaten Partys leider oft nicht.
Was möchten Sie Heilpädagog:innen und anderen Fachkräften in der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen mit auf den Weg geben?
Ach, ich habe so oft von der Kanzel gepredigt. Längst habe ich mir abgewöhnt, Menschen irgendetwas mit auf den Weg zu geben. Denn ich bin davon überzeugt, dass sich Menschen bei Begegnungen das herauspicken, was für sie wertvoll ist. Es könnte also hier ein kleiner Raum sein für Bemerkungen, die sich der beziehungsweise die Lesende nach diesem Interview notiert. Ich wäre überaus froh, wenn ich einen Gedanken geäußert hätte, der für Heilpädagog:innen nicht völlig selbstverständlich ist.
Weitere Informationen zu Rainer Schmidt: www.schmidt-rainer.com