Auf der diesjährigen Bundesfachtagung des Berufs- und Fachverbands für Heilpädagogik (BHP) e. V. wurde erstmalig der Ehrenpreis der Heilpädagogik vergeben. Die Auszeichnung erhielt Irmela Mensah-Schramm für ihren engagierten Einsatz und ihr couragiertes und zivilgesellschaftliches Handeln gegen fremdenfeindliche Polemik und Hassbotschaften in der Öffentlichkeit. Seit 1986 entfernt die Friedensaktivistin rassistische und antisemitische Aufkleber und Graffiti in ganz Deutschland.

Vor einem bewegten Publikum im Humboldtsaal der Urania in Berlin würdigte Heinrich Greving, Professor für Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule Münster, die Arbeit der in den Medien als „Politputze“ bekannten Irmela Mensah-Schramm. Mit ihrer Arbeit verdeutliche Mensah-Schramm, so Greving in seiner Rede, dass Widerstand gegen menschenfeindliches Denken und Handeln nicht nur möglich, sondern politisch und pädagogisch geboten erscheine:

Prof. Dr. Heinrich Greving hält die Laudatio für Irmela Mensah-Schramm

„Was Sie in den letzten Jahrzehnten geleistet haben ist aktuell, ist heute wichtiger denn je, denn Sie geben damit ein konsequentes und beredtes Zeugnis und Zeichen, dass ein engagierter Bürger, eine engagierte Bürgerin unserer Zivilgesellschaft ihr Engagement nicht nur darin erschöpft sehen darf, alle vier Jahre die eigene Stimme in einer Urne zu beerdigen. Vielmehr ist ein tägliches Aufbegehren gegen Ignoranz und Menschenfeindlichkeit, gegen Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus, für eine konsequente Beachtung und Realisation der Menschenwürde, der Menschenrechte und des gemeinsamen Dialogs aller in der Gesellschaft nicht nur notwendig, sondern eine grundsätzliche bürgerliche Verpflichtung“, verdeutlichte Greving in seiner Laudatio den Einfluss Mensah-Schramms, die mit ihrer Arbeit seit Jahrzehnten das gesellschaftliche Bewusstsein für Hassbotschaften im öffentlichen Raum schärft.

Standing Ovations für Irmela Mensah-Schramm auf der 51. Bundesfachtagung

Unter großem Beifall nahm Irmela Mensah-Schramm den Ehrenpreis für Heilpädagogik des BHP – eine silberne Anstecknadel mit der Gravur „Für die Heilpädagogik“ – entgegen. Der Ehrenpreis der Heilpädagogik wurde in diesem Jahr erstmals während der 51. Bundesfachtagung des BHP verliehen und soll zukünftig jedes zweite Jahr an Menschen vergeben werden, die sich für die Heilpädagogik verdient gemacht haben. Noch bis zum 20. Dezember ist Irmela Mensah-Schramms Ausstellung „Hass vernichtet!“ im Tesla-Foyer der Berliner Urania zu sehen. Weitere Informationen zur Arbeit von Irmela Mensah-Schramm finden Sie unter www.schluss-mit-hass.de .

Eine Rückschau der 51. Bundesfachtagung mit Bildergalerie steht hier zur Verfügung: heilpaedagogikwirkt.de


Lesen Sie im Folgenden die ungekürzte Laudatio von Prof. Dr. Heinrich Greving:
Laudatio zur Verleihung des „Ehrenpreises Heilpädagogik des BHP e.V.“ an Irmela Mensah-Schramm

Sehr geehrte Frau Mensah-Schramm, sehr geehrte Damen und Herren,

als ich die Anfrage bekam zur Verleihung des ersten „Ehrenpreises Heilpädagogik des BHP“ an Sie eine Laudatio zu halten, habe ich mich (zuerst) sehr gefreut – und zwar darüber, dass der Berufsverband hiermit eine Ehrung vornimmt, welche eine deutliche politische Botschaft enthält. Mehr noch: mit der Ehrung Ihrer Lebensleistung, liebe Frau Mensah-Schramm, verbindet der Verband eine ausdrückliche Botschaft in das heilpädagogische Feld und weit darüber hinaus. – Aber dazu später mehr.

Als ich mich dann mit Ihrem Leben beschäftigt habe bemerkte ich schnell, dass es überhaupt nicht möglich dieses, Ihr Leben, Ihr Engagement in den hierfür zur Verfügung stehenden knapp fünfzehn Minuten gebührend zu würdigen und in den Kontext unserer aktuellen politischen (und auch berufspolitischen) Situation zu stellen. – Gleichwohl will ich dieses nun versuchen.

„Mein Vater war Schauspieler und meine Mutter Kinderkrankenschwester.“ – So beginnen Sie, liebe Frau Mensah-Schramm, eine kurze Information zu Ihrer Person. Schon hierdurch wird, wie ich finde, ihr Bestreben deutlich eine Brücke zwischen der Kunst und der sozialen Tätigkeit zu spannen. – Und was Sie, als Heilpädagogin und als politische Aktivistin, in den letzten Jahrzehnten geleistet haben ist auch – wie ich finde – künstlerisch bedeutsam.

Wie wird man zu einem solchen, umfassend engagierten, weitläufig interessierten Menschen? – An dieser Stelle möchte ich kurz auf die wichtigsten Punkte Ihrer Biografie eingehen. Sie lebten bis in die sechziger Jahre in Baden Württemberg und verbrachten dort auch Ihre Schul- und Ausbildungsjahre, sowie die ersten Berufsjahre in einem Pflegeberuf. Im Jahr 1969 zogen Sie nach Berlin (damals noch West-Berlin) wo Sie Ihre Ausbildung zur Erzieherin absolvierten und daran anschließend eine heilpädagogische (damals noch: Zusatz-)Ausbildung anschlossen.

Ihnen war, wie Sie schreiben, wichtig, „gerade Kinder und Jugendliche der ‚Randgesellschaft‘ zu fördern und… zu stärken. Schnell wurde mir bewusst, dass der erlernte Lehrstoff für diesen Beruf, nicht dass einzig richtige ‚Werkzeug‘ war, denn viel Eigeninitiative, und besonders viel Einfühlungsvermögen waren gefordert.“ – Sie waren dann von 1969-2006 als Erzieherin und Heilpädagogin, auch als sog. heilpädagogische Lehrkraft, tätig. Sie waren aber nie die „klassische“ Pädagogin (wenn es eine solche denn überhaupt gibt): Sie haben sich schon früh politisch engagiert und sich der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Friedensbewegung angeschlossen. Ab 1975 arbeiteten Sie ehrenamtlich bei der Flüchtlingsberatung für Amnesty International. Zudem waren sie einige Jahre Mitglied der „Alternativen Liste“, und später bei den Grünen politisch tätig.

1986 begannen Sie mit Ihren Aktionen gegen die Hass- und Nazipropaganda im öffentlichen Raum. Was Sie dazu motivierte, wie sich diese „Erweckungssituation“ gestaltete, würde ich gern in Ihren eigenen Worten darstellen:
„Nach meinem Umzug 1986 innerhalb Berlin/West nach Wannsee wurde ich dort bald frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit an der Bushaltestelle vor dem Haus mit dem Fund des ersten Naziaufkleber konfrontiert und war zuerst untätig. Dies dauerte nicht lange: noch am selben Tag, als ich es nachholen wollte, stellte ich zugleich fest: Es ist mir niemand zuvor gekommen… Das dies nicht der einzige Nazisticker war, stellte ich bald fest und schaffte mir eine Ausrüstung an: Schaber, Nagellackentferner und Farbe.“

Seit diesem Tag, im Spätsommer 1986, sind Sie nahezu ständig in allen Bundesländern unterwegs und machen deutlich, dass Widerstand gegen dieses menschenfeindliche Denken und Handeln möglich und umsetzbar ist. Ja: das dieser Widerstand als politisch und pädagogisch geboten erscheint! Sie haben bis heute auf diese kreative und pointierte Art und Weise zigtausende Aufkleber entfernt. Ihr Archiv enthält weit über 16000 Bilddokumente hierzu.

Dieser couragierte Einsatz für zivilgesellschaftliches Handeln wurde von dieser Gesellschaft, vor allem von den Staatsorganen, nicht immer positiv konnotiert. Im Gegenteil: Während Ihrer Tätigkeiten waren und sind Sie sehr häufig Anfeindungen ausgesetzt und mögliche Beobachter (Zeugen, Polizisten…) reagierten mit Unverständnis auf das, was Sie machten. Es kam somit dazu, dass mehrere Strafverfahren gegen Sie eröffnet und – gottseidank – wieder eingestellt wurden. Zudem mussten (und müssen) Sie mit Gewaltandrohungen und Morddrohungen leben. Dennoch haben Sie sich nie von Ihren Zielen abbringen, sich nie im letzten irritieren lassen, denn Menschenwürde hat bei Ihrem Tun für Sie die oberste Priorität. Diese, die uneingeschränkte Menschenwürde, gilt es zu erhalten, so dass die Beschädigung einer Glasscheibe, eine Firmenschildes, eines Plakates von Ihnen hierfür in Kauf genommen wird – ja, wie ich finde, in Kauf genommen werden muss.

Da Sie, liebe Frau Mensah-Schramm, wie Sie sagen „…die Gleichgültigkeit meiner Mitmenschen nicht mehr ertragen konnte“ konzipierten Sie die Ausstellung „Hass vernichtet“, welche Sie seit 2010 als Wanderausstellung begleiten. Zudem bildete ihre Sammlung der entfernten und neugestalteten Aufkleber einen zentralen Teil der Ausstellung „Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“, die 2016 im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigt wurde. Bis 2016 haben Sie über 450 Ausstellungen und über 100 Workshop-Projekte hierzu realisiert.

Alle diese Tätigkeiten führen Sie ohne staatliche und sonstige finanzielle Unterstützung durch – was einem Skandal recht nahe kommt. Dennoch wurden Sie schon mit vielfältigen Preisen für Ihr Engagement ausgezeichnet: so z.B. 1996 mit der Bundesverdienstmedaille – welche Sie allerdings, und auch das ist nur konsequent und folgerichtig, im Jahr 2000 zurückgaben, nachdem Sie erfuhren, dass der ehemalige NPD- und spätere CDU-Politiker Heinz Eckhoff, der zur Zeit des „Dritten Reichs“ Mitglied der SS war, ebenfalls mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde; 1998 wurden Sie mit dem „Band für Mut und Verständigung“ der Initiative „Gemeinsam für Ausländer“ vom Amt der Ausländerbeauftragten des Senats von Berlin geehrt; 2006 mit dem Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ der deutschen Bundesregierung, sowie 2015 mit dem Göttinger Friedenspreis. Und heute also mit dem „Ehrenpreis Heilpädagogik de BHP“.

Was Sie in den letzten Jahrzehnten geleistet haben ist aktuell, ist heute wichtiger denn je, denn Sie geben damit ein konsequentes und beredtes Zeugnis und Zeichen, dass ein engagierter Bürger, eine engagierte Bürgerin unserer Zivilgesellschaft ihr Engagement nicht nur darin erschöpft sehen darf alle vier die eigene Stimme in einer Urne zu beerdigen. Vielmehr ist ein tägliches Aufbegehren gegen Ignoranz und Menschenfeindlichkeit, gegen Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus, für eine konsequente Beachtung und Realisation der Menschenwürde, der Menschenrechte und des gemeinsamen Dialogs aller in der Gesellschaft nicht nur notwendig, sondern eine grundsätzliche bürgerliche Verpflichtung.

Sie bezeichnen sich selber als „Polit-Putze“ – dieser Begriff müsste eigentlich in den Rang eines Ehrentitels erhoben werden: Sie säubern die Gesellschaft vom hassschürenden Dreck rechtsradikaler Parolen und fremdenfeindlicher Propaganda. Sie klaren und klären hierdurch ganz handfest auf. Sie machen augenscheinlich deutlich, dass hinter jedem geschriebenen Wort eine Meinung steht und dass es manchmal nur ein klein wenig des Umdenkens bedarf, dass sich Botschaften und Bilder ändern lassen: Im Mai des letzten Jahres übersprühten Sie z.B. in einem Fußgängertunnel in Berlin Zehlendorf die – sicher rechtsradikal motivierte – Forderung „Merkel muss weg“ in „Merke! Hass weg“. Manchmal bedarf es nur einer kleinen – in diesem Fall semantischen – Veränderung, um Augenöffnend zu wirken.

Als wir uns zum ersten Mal, vor wenigen Wochen, über diese Ehrung unterhalten haben sagten Sie, das für Sie das Spannungsfeld: „Ehrung – Kriminalisierung“ wichtig sei: Sie wurden angezeigt (wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und anderes mehr). Sie wurden beschimpft und angegriffen. Aber dennoch haben Sie sich hiervon nicht in Ihrem Engagement beirren lassen: die konsequente Zivilcourage, der Einsatz für die Menschen der „Randgesellschaft“ – welche durch rechtsradikale Aufkleber in ihrem Lebensrecht bedroht sind – steht weiterhin im Mittelpunkt Ihres Tuns. – Aber dieses Spannungsfeld zwischen „Kriminalisierung“ und „Ehrung“ mach auch deutlich, dass sich unsere Gesellschaft ganz offensichtlich noch nicht konsequent dazu entschieden hat eine humanistische, eine dialogische, eine menschenfreundliche Gesellschaft zu sein. Immer wieder nimmt sie auch Position ein für diejenigen, welche diese Menschenfreundlichkeit infrage stellen. Sie, liebe Frau Mensah-Schramm, halten dieser Gesellschaft, halten uns den Spiegel unserer Inkonsequenz hierin vor.

Sie machen uns, als Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, hierdurch mehr als deutlich, dass wir weit über den Tellerrand unsere pädagogischen Tätigkeiten hinaus schauen, uns in die Unsicherheitszone politischen Handelns hineinbegeben und diese – trotz aller möglichen Widerstände und Anfeindungen – gestalten müssen.

Sie und Ihre Arbeit sind uns hierbei Vorbild und Mahnung zugleich: Vorbild, sich an Ihrer Zähigkeit, Ihrer Tapferkeit, Ihrem Mut und Ihrer Kreativität zu orientieren; Mahnung hierin nie nachzulassen und den rechtsradikalen, fremdenfeindlichen Tendenzen keinen Raum zu geben. – Weder in uns, noch in der Gesellschaft.

Sie, Frau Mensah-Schramm, leben durch ihre politische Tätigkeit die Forderung, dass Heilpädagogik immer auch – und ich würde sogar sagen und postulieren: in ihrem Kern – eine zutiefst politische Disziplin und Profession ist.

Schließen möchte ich mit einigen Zeilen aus dem Lied von Gerhard Schöne „Die couragierte Frau“ – er hat dieses Lied Ihnen zu Ehren verfasst:

„Hakenkreuze, Nazisprüche,
Juden-, Türken-, Negerflüche
wischt und kratzt und schrubbt sie gründlich weg.
Wird belächelt und beleidigt,
angegriffen. Sie beseitigt
unbeeindruckt weiter diesen Dreck.

Danke, Gott, es gibt auf Erden
Menschen, die zum Anstoß werden,
die mich zwingend fragen: Bleib ich lau?
Oder werd‘ ich endlich brennen,
mich mit Haut und Haar bekennen,
so wie diese couragierte Frau.“

Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zur Verleihung des Ehrenpreises Heilpädagogik.

Berlin, am 26.11.2017
Prof. Dr. Heinrich Greving