In der Dokumentation „Warum Kinder keine Tyrannen sind“, die am 09. August 2021 in der ARD ausgestrahlt wurde, werden schwere Vorwürfe erhoben gegen den Bonner Arzt Dr. med. Michael Winterhoff, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie – Psychotherapie. Ehemalige Patientinnen und Patienten, die zum Teil in „Heilpädagogischen Wohneinrichtungen“ lebten, und auch Eltern werfen Michael Winterhoff vor, er habe den ihn anvertrauten Kindern und Jugendlichen über Jahre hinweg Psychopharmaka verabreicht, teils ohne Diagnose oder ohne ausreichende Aufklärung und in mindestens einem Fall auch ohne Wissen der Sorgeberechtigten. Insbesondere das Neuroleptikum Pipamperon mussten einige PatientInnen laut der Dokumentation jahrelang einnehmen. Pipamperon ist ein Psychopharmakon aus der Gruppe der niederpotenten Neuroleptika (Antipsychotika) und gehört zu den Butyrophenonen. Es wirkt sedierend.

Nach der Sendung wurde auf verschiedenen digitalen Kanälen, unter anderem auf einer Webseite der Tagesschau (https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/kinderpsychiater-winterhoff-109.html), eine Aussage von Herrn Dr. Winterhoff wiedergegeben, in der er argumentiert, dass in vielen Fällen der Einsatz des Medikamentes Pipamperon eine heilpädagogische Behandlung von Kindern erst möglich mache.
Nun gibt es in der Tat psychiatrische Erkrankungen im Kindesalter wie auch ADHS, die so schwerwiegend sein können, dass sie zum Beispiel die Teilnahme an einem Klassenunterricht, zumindest unter den gegebenen Bedingungen einer Regelschule, sehr erschweren oder gar unmöglich machen. Eine medikamentöse Behandlung kann hier nach Abwägung aller Faktoren, der Aufklärung aller Beteiligten und unter strenger ärztlicher Begleitung bzw. Kontrolle durchaus hilfreich sein und dem Kind ermöglichen, sich zu konzentrieren, mit Aufgaben auseinanderzusetzen und mit anderen konstruktiv in Beziehung zu treten. Sekundäre Beeinträchtigungen können so vermieden werden.

Der Berufs- und Fachverband Heilpädagogik (BHP) e. V. distanziert sich dennoch von der Aussage Dr. Winterhoffs, die den Eindruck erweckt, dass die Behandlung mit Psychopharmaka in vielen Fällen die Voraussetzung für eine heilpädagogische Arbeit mit Heranwachsenden sei.
Heilpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen basiert auf einem Bild vom jungen Menschen, der nicht, wie in den Veröffentlichungen Dr. Winterhoffs, als potentieller „Tyrann“ oder „Monster“ gesehen wird, sondern als Person, die sich in jedem einzelnen Menschen auf individuell einzigartige und gleichwertige Weise und in Wechselbeziehungen mit den sozialen und ökologischen Umwelten konkretisiert.
Heilpädagogik zielt deshalb auf volle und wirksame gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation (Inklusion) sowie auf die Entdeckung und Entwicklung individueller Ressourcen und Begabungen (begleitende Unterstützung) ab und beinhaltet ein Offensein für individuell erlebte Sinnhaftigkeit und ihrer Verwirklichungsformen (Sinnerfüllung).

Heilpädagoginnen und Heilpädagogen bieten Unterstützung bei der Bewältigung erschwerter Lebenslagen und -situationen, Risiken und Belastungen. Heilpädagogik im Sinne einer differenzierten Pädagogik bereitet Kinder und Jugendliche auf eine lebenswerte Zukunft vor und unterstützt sie dabei, ihre Talente zu entfalten, sich Aufgaben zu stellen und ihre Lebenschancen zu nutzen. Heilpädagogische Arbeit bezieht die Erziehungssorgeberechtigten mit ein.

Heilpädagogische Handlungskonzepte basieren deshalb auch auf einer Vielzahl bindungs- und beziehungsgestützter, ressourcen- und teilhabeorientierter Handlungsansätze und nicht auf dem Einsatz bestimmter Psychopharmaka.

Der Vorstand und die Geschäftsführung des BHP e. V.