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07 DenkRaum: Heilpädagogik weiter denken. Vorstellung heilpädagogischer Promotionsprojekte

Mit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Heilpädagogik verfolgt der BHP das berufspolitische Ziel, mehr Heilpädagoginnen und Heilpädagogen für eine Tätigkeit in Lehre, Ausbildung und (höheren) Leitungsfunktionen zu qualifizieren, da diese Tätigkeiten ein hohes multiplikatorisches Potenzial heilpädagogischer Professionalität beinhalten. Auch im Hochschulbereich ist wissenschaftlicher Nachwuchs vonnöten. Im Rahmen dieses DenkRaumes werden vier Promotionsprojekte vorgestellt. Die Promovierenden stehen für Fragen und Diskussionen zur Verfügung.

Moderation: Alexandra Pelka | Pädagogische Hochschule Heidelberg

Folgende Promotionsprojekte werden vorgestellt:

Pränataldiagnostik (PND) im Spannungsfeld zwischen dem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und der potenziellen Diskriminierung von Menschen mit Behinderung
Lisa Koopmann

Mehrere (gesellschafts-) politische Ereignisse geben Anlass zu einer vertieften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themen reproduktive Selbstbestimmung und Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Insbesondere die Einführung neuer, nicht invasiver Pränataltests (NIPT) sowie die seit dem Jahr 2022 bestehende Möglichkeit der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen haben das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und dem Lebensrecht von Menschen mit Behinderungen offengelegt. Ein wesentlicher Teil des ethischen Konfliktpotenzials liegt vor allem in der Diskrepanz zwischen Diagnostik und Therapie: die pränatale Feststellung einer Behinderung – insbesondere durch NIPT – erfolgt häufig ohne Interventionsmöglichkeiten und resultiert in der Regel in einem Abbruch der Schwangerschaft. Diese Entwicklungen sind vor dem Hintergrund der 2006 erfolgten Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und die damit einhergehende Verpflichtung der unterzeichnenden Vertragsstaaten, die volle und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu garantieren und notwendige Grundlagen dafür herzustellen, kritisch zu diskutieren. Zusammenfassend sind die neuen nicht invasiven Verfahren der Pränataldiagnostik (NIPT) und die erwartbare Ausweitung niedrigschwelliger pränataldiagnostischer Tests von großer gesellschaftlicher, politischer sowie ethischer Relevanz.
Weiterführende Informationen: Das Promotionsprojekt ist an der Universität zu Köln, im Department Heilpädagogik und Rehabilitation und der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe angegliedert und wird von Prof. Dr. Markus Dederich und Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann betreut. Promovendin ist Lisa Koopmann, Heilpädagogin B.A., Soziale Inklusion, Gesundheit und Bildung M.A., Doktorandin an der Universität zu Köln, Promotionsstipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung, ehem. wissenschaftliche Mitarbeiterin der evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. Pränatale Diagnostik und die damit einhergehenden ethischen und gesellschaftlichen Folgen bilden Forschungsschwerpunkte, wie z. B. im Rahmen des letzten Forschungsprojektes „Neue Entwicklungen in der Pränataldiagnostik – gesellschaftliche und ethische Fragen“.

Inklusion als Kritik und Kritik der Inklusion – Konturen einer Kritischen Theorie der Inklusion
Esther Röcher

Ziel der Dissertation ist es, einen kritisch-theoretischen Begriff der Inklusion auf Grundlage der Schriften der älteren Kritischen Theorie zu konzeptualisieren. Sie verfolgt insofern ein grundlagentheoretisches Erkenntnisinteresse, indem sie danach fragt, wie sich Inklusion aus der Perspektive der Theorie von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno theoretisch fassen lässt. Soweit im Inklusionsdiskurs auf die Kritische Theorie Bezug genommen wird, erfolgt dies überwiegend über die Rezeption der Anerkennungstheorie Axel Honneths (u. a. Brachmann, 2016; Dederich, 2001; Felder, 2012; Katzenbach, 2004; Prengel, 2019 [1993]; Rösner, 2002). Das gesellschaftstheoretische und epistemologische Potential der älteren Kritischen Theorie (Max Horkheimer & Theodor W. Adorno) bleibt hingegen weitgehend ungenutzt. Die wenigen existierenden Beiträge zu Inklusion aus der Perspektive der älteren Kritischen Theorie kritisieren, dass der Inklusionsdiskurs zu idealistisch und ohne gesellschaftstheoretische Reflexion geführt werde und zielen demzufolge sowohl auf eine gesellschaftstheoretische Grundlegung des Inklusionsbegriffs als auch auf eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit diesem ab (Bärmig, 2022; Bernhard, 2015; Katzenbach, 2015; Lanwer, 2017). Eine systematische und theoriegeleitete Auseinandersetzung mit Inklusion im Anschluss an die ältere Kritische Theorie steht bislang jedoch aus.
Die Dissertation adressiert diese Forschungslücke, indem sie zentrale Denkfiguren der älteren Kritischen Theorie wie die Dialektik der Aufklärung, das Konzept der Mündigkeit oder die Negative Dialektik für eine kritisch-reflexive Theorie der Inklusion fruchtbar macht. Sie folgt hierbei einem doppelten Anspruch: Zum einen soll Inklusion als kritisch-reflexives Instrument zur Analyse von Herrschaftsverhältnissen, die Exklusion herstellen, bestimmt werden (Inklusion als Kritik). Inklusion wird hierbei als gesellschaftlich und bildungstheoretisch relevantes Konzept verstanden, dessen Analyse nicht bei Bildungsorganisationen verharren kann, sondern gesellschaftliche Inklusions- und Exklusionsmechanismen in den Blick nehmen muss. Zum anderen soll mithilfe methodologischer Konzepte der älteren Kritischen Theorie wie immanenter Kritik oder negativ-dialektischem Denken eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Inklusionstheorien und ihren ideologischen Grundlagen geleistet werden (Kritik der Inklusion).

Die Dissertation will nicht nur einen Beitrag zur Theoriebildung im Inklusionsdiskurs leisten, sondern zugleich die Frage nach dem Verhältnis von Bildung, Gesellschaft und Kritik neu stellen. Sie versteht sich hierbei als Beitrag zur Weiterentwicklung inklusionspädagogischer Theoriebildung an der Schnittstelle der Allgemeinen Erziehungswissenschaft und der Heil-/Sonderpädagogik.
Esther Röcher hat Heilpädagogik/Inclusive Education (B.A.) an der Katholischen Hochschule Freiburg, Philosophie und Ethnologie (B.A.) an der Universität Freiburg sowie Erziehungswissenschaften (M.A.) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main studiert. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Verbindungen zwischen Kritischer Theorie, (politischer) Bildung und Inklusion. Beruflich ist sie als Heilpädagogin in der aufsuchenden Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen tätig. Seit Juli 2025 promoviert sie am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main. In ihrer Dissertation entwickelt sie eine Kritische Theorie der Inklusion auf der Grundlage der Schriften der älteren Kritischen Theorie (insbesondere Theodor W. Adorno und Max Horkheimer).