Internationaler Tag der Heilpädagogik: Sechs Fragen an Guildo Horn, Musiker, Moderator und Diplom-Pädagoge

Jedes Jahr am 13. April wird der Internationale Tag der Heilpädagogik begangen. Ziel des Aktionstages ist es, die Profession zu stärken und die Heilpädagogik in der breiten Öffentlichkeit darzustellen. Zu diesem Anlass sprachen wir mit Guildo Horn über die Verbindung von Musik und Inklusion und sein Engagement für Barrierefreiheit.

Herr Horn, viele Menschen verbinden mit der Kunstfigur Guildo Horn vorrangig Ihre Musik, denn das ist Ihr Hauptberuf. Gleichzeitig sind Sie auch Diplom-Pädagoge und haben früher beispielsweise in der Lebenshilfe als Musiklehrer gearbeitet. Was verbinden Sie mit dem Begriff der Heilpädagogik und wie hat Ihre Arbeit als Pädagoge mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung Ihre Arbeit als Musiker beeinflusst?

Egal in welchem sozialen Kontext ich gearbeitet habe, ich habe es stets als Mensch und nicht vorrangig als diplomierter Pädagoge getan. Man kann eine pädagogische Ausbildung durchlaufen, aber wenn man nicht innerlich offen für sein Gegenüber ist, nutzt das alles nichts.

Meine ureigenen Antriebsfedern waren immer meine grenzenlose Neugier, meine Begeisterungsfähigkeit und vor allem die Liebe zu den Menschen.

Am meisten geformt hat mich meine Arbeit in den Lebenshilfe-Werkstätten. Die vermeintlich „Behinderten“ haben mir plastisch vorgelebt, wie man authentisch und aufrichtig durchs Leben geht und zum Beispiel ohne viel Umschweife uneitel drauflos musizieren kann. Ich dachte immer: „Endlich normale Menschen!“

Die Heilpädagogik ist überall dort gefragt, wo Menschen jedes Alters aufgrund von sozialem Ausschluss, Beeinträchtigung oder (drohender) Behinderung vor Entwicklungs- und Teilhabebarrieren stehen. Kann Musik helfen, diese Barrieren abzubauen? Und unter welchen Rahmenbedingungen kann das besonders gut gelingen?

Musik ist das einzige universelle Kommunikationsmittel, dass auch jenseits von sozialen und nationalen Kategorien funktioniert.

In einer normalen Unterhaltung spricht immer einer und ein anderer oder mehrere hören derweil zu (das gilt natürlich nicht für politische Talksendungen ;-).

Gemeinsam musizieren können unendlich viele Menschen gleichzeitig. Das durchbricht Grenzen und Barrieren und verbindet tief in der Seele. Musik ist schier magisch.

Sie haben sich letztlich für die musikalische Karriere entschieden, sich aber immer wieder für Projekte zu Barrierefreiheit und Inklusion eingesetzt. Auch gemeinsam mit Ihrer Band „Die orthopädischen Strümpfe“ haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, soziale Projekte um geistig- und mehrfachbehinderte Menschen zu unterstützen. Welches Projekt ist das aktuellste?

Wenn wir über Behinderungen sprechen, ist der Grad natürlich fließend. Jeder Mensch ist unperfekt und hat seine Einschränkungen. Natürlich auch ich und meine Combo. Deshalb muss ich nicht zwangsläufig in sozialen Projekten stattfinden um mich für Inklusion und Barrierefreiheit einzusetzen. Wichtig ist, dass man ein offenes Programm für Hörer und Hörerinnen aller Fachbereiche bietet. Dafür stehen wir als Band Die Orthopädischen Strümpfe!

Bereits in 2013 sind Sie gemeinsam mit drei Personen mit Beeinträchtigungen für die Aktion Mensch durch Deutschland getourt und haben Wahllokale auf ihre Barrierefreiheit getestet. Anlässlich Wahlen in Berlin wurde kürzlich – in 2023 – wieder auf die fehlende Barrierefreiheit in einigen Wahllokalen hingewiesen. Was braucht es Ihrer Meinung nach, dass sich in Bezug auf Inklusion nachhaltig etwas tut?

Wir Menschen bewegen uns meist nur aus unserer Komfortzone, wenn wir uns einen persönlichen Nutzen davon versprechen.

Ich habe gelernt, dass mir die Einschränkungen meines Gegenübers und die damit verbundene andere Herangehensweise an das Leben beste Impulse für mein eigenes Leben gegeben haben.

Bei der Lebenshilfe habe ich die besten Lehrmeister im Fachbereich „hier und jetzt“ gefunden. Ich war ein eifriger Schüler und habe das Erlebte tief in mich hineingesaugt.

Es hat mich als Mensch bereichert und mir größere Entspanntheit und letztlich Lebenszufriedenheit beschert. Genau das kann ein Jeder haben. Man kann von jedem Menschen etwas lernen. Von Menschen mit einer komplizierteren Biografie umso mehr.

Und deshalb sollten eher die Vorteile der Inklusion für die „normale“ Bevölkerung betont werden, als dass man diese Art des Austausches als Gutmenschhingabe für Behinderte definiert. Unterm Strich ist es nämlich eine Win-win-Situation. Ein Gewinn für uns alle!

Für den Südwestrundfunk (SWR) haben Sie die Talkshow „Guildo und seine Gäste“ moderiert, in der Sie mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung ins Gespräch über Gefühle, Gedanken und Themen des Alltags gegangen sind. Das Format erhielt 2006 auch den „Paralympic Media Award“ und war zwei Mal für den Grimme-Preis nominiert. Was können solche Formate in Bezug auf Inklusion leisten?

Geistig behinderte Menschen werden meist nur auf ihre Defizite hin definiert. Wenn behinderte Personen im TV auftreten, dann oftmals nur in einer passiven Rolle. Ein kuscheliger Spielball, an dem wir unseren Altruismus abfeiern können.

In meiner Talkshow Guildo und seine Gäste durfte jeder einfach so sein, wie er oder sie ist. Wir haben so gut wie gar nicht über das Thema Behinderung gesprochen, sondern eher über die Leidenschaften, die uns allesamt miteinander verbinden: Liebe, Genuss, lecker Essen, Ängste, Sex, Erotik, Fußpilz… was weiß ich alles!

Es wurde jedenfalls viel mit- und übereinander auf Augenhöhe gelacht! Das hat unterhalten und beim Zuschauer hat es gezündet: Moment mal, der vermeintlich Behinderte tickt im Grunde genommen gar nicht anders als ich. Ein erster, wichtiger Schritt! Für viele auch der Erstkontakt mit dieser Personengruppe. Das Urteil meiner Schwester nach der ersten Sendung war jedenfalls: „Du warst mit Abstand der Behindertste!“ Ich habe es stolz als Lob genommen.

Das noch von meiner Seite dazu: Ich bin mir sicher, die Senderverantwortlichen damals waren sich gar nicht bewusst darüber, welch wichtiges Format sie da ihr Eigen nennen dürfen. So wurde die Talkshow plötzlich, unerwartet und höchst humorlos eingestellt. Ich höre zwar ständig von Medienvertretern, wie toll diese Pioniersendung war, aber kein Fernsehsender hat bislang den Versuch unternommen, das Ganze nochmals an den Start zu bringen. So wichtig scheint das Thema dann wohl auch nicht!

Für welches Thema aus dem Bereich der Heilpädagogik würden Sie sich anlässlich des Internationalen Tages der Heilpädagogik am 13. April besondere Beachtung wünschen?

Ich weiß nicht, ob es das gibt, aber ich sag mal: Antikademische Heilpädagogik. (Wortschöpfung Guildo Horn)

Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Guildo Horn, Jahrgang 1963,
ist nicht nur der Sänger und Musiker der Band „Die Orthopädischen Strümpfe“, er ist außerdem Radiomoderator und Entertainer, Diplom-Pädagoge und Musicaldarsteller. Er engagiert sich für verschiedene soziale Initiativen wie die Aktion Mensch, für die er Wahllokale auf ihre Barrierefreiheit hin testete.